Kommentar

Schützt die Jugend – legalisiert Cannabis!

Ein progressiver Zeitgeist und positive Erfahrungen im Ausland: Die Voraussetzungen für eine Entkriminalisierung des Haschkonsums sind gut. Profitieren würden nicht nur erwachsene Kiffer.

Simon Hehli
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(Bild: Peter Gut)

(Bild: Peter Gut)

Für «ganz schwierige Sexualverbrechen» und Allmachtsphantasien bei Jugendlichen soll der Konsum von Cannabis verantwortlich sein. Das behauptete ein Politiker der evangelikal geprägten Kleinpartei EDU vor einigen Wochen in der SRF-Sendung «Arena». So weit gehen die Hasch-Gegner selten – doch die halluzinogene Droge löst in manchen Kreisen weiterhin grosses Unbehagen aus. Sie werden deshalb alles daransetzen, eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums zu verhindern. Dass dieses Thema, das in den letzten Jahren weitgehend von der politischen Agenda verschwunden ist, ein Comeback feiern könnte, ist dem Verein «Legalize it!» zuzuschreiben. Er hat eine neue Legalisierungsinitiative gestartet, deren Text seit einigen Monaten bei der Bundeskanzlei zur Vorprüfung liegt. Wann die Unterschriftensammlung beginnt, ist noch unklar. Doch unabhängig vom Fahrplan: Die Politik muss sich der Legalisierungsfrage mit einer Portion Nüchternheit annehmen – und zwar bald.

In einer freiheitlichen Gesellschaft gibt es keinen plausiblen Grund, Erwachsenen das Kiffen zu verbieten. Zum selbstverantwortlichen Leben gehört auch der individuelle Entscheid, was man seinem Körper zumuten will und was nicht. Dass regelmässiger Cannabiskonsum schädlich sein kann – erst recht beim Kiffen ohne Filter –, ist unbestritten. Doch dasselbe gilt auch für Tabak und Alkohol. Der Bund schätzt die sozialen und volkswirtschaftlichen Kosten des Trinkens auf über vier Milliarden Franken pro Jahr. Vor diesem Hintergrund ist es heuchlerisch, die Drogen unterschiedlich zu behandeln.

Und ewig lockt der Rausch

Mit diesem grundsätzlichen Argument lässt sich die Legalisierungsdebatte kaum gewinnen – sonst wäre der Schritt schon lange erfolgt. Doch es gibt auch genug pragmatische Gründe, den Cannabiskonsum zu entkriminalisieren. Dass Konservative von einer Welt ohne Drogen träumen, ist verständlich. Doch mehr als Träume sind das nicht. Der Mensch hat sich schon immer berauscht, sei es, um die sexuelle Lust anzufachen, Entspannung zu erleben oder um das Bewusstsein zu erweitern. Fast die Hälfte der Schweizer Männer und 30 Prozent der Frauen zwischen 15 und 34 Jahren haben laut Bundesamt für Statistik mindestens einmal Cannabis geraucht. Eine moderne Gesellschaft muss mit dieser Realität deshalb so umgehen, dass der Drogenkonsum nicht zum untragbaren Problem wird.

Mit dem Ordnungsbussen-System hat die Politik
versucht, ein milderes Klima für Haschkonsumenten zu schaffen. Man mag das als Fortschritt werten, aber letztlich handelt es sich
um einen Murks.

Im Zentrum solcher Überlegungen sollte stets der Jugendschutz stehen. Mit diesem warben explizit schon die Advokaten der letzten Cannabis-Initiative. Nur unterliessen sie es, im Verfassungstext explizit eine Altersgrenze festzuschreiben. Das war einer der Gründe für das deutliche Scheitern an der Urne 2008. Die Initianten des neuen Volksbegehrens haben aus den Fehlern ihrer Vorgänger gelernt: Die Abgabe von Cannabis an Minderjährige soll ohne medizinische Indikation verboten bleiben. Das ist richtig, denn Cannabis ist gerade für Teenager alles andere als harmlos. Der Stoff kann psychisch abhängig machen. Wenn Heranwachsende schon früh gewohnheitsmässig viel kifften, könne dadurch die Hirnentwicklung negativ beeinflusst werden, mahnt die Stiftung Sucht Schweiz – und dies in einer Phase, die für das Herausbilden der eigenen Identität wesentlich ist und in der die Weichen gestellt werden für die berufliche Zukunft. Zudem verdichten sich die Hinweise, dass Cannabis Schizophrenie-Erkrankungen verursachen oder zumindest vorzeitig auslösen kann.

Es ist deshalb offensichtlich, dass eine vernünftige Cannabis-Politik den Zugang von Jugendlichen zur Droge bestmöglich verhindern muss. Gelingt dies mit der Prohibition für Jung und Alt, wie sie heute herrscht? Wohl kaum. Angenommen, ein pubertierender Halbstarker, fünfzehn Jahre alt, möchte an Cannabis herankommen. In welcher der folgenden beiden Situationen sind seine Chancen grösser? Wenn die Droge illegal ist, die Polizei den blühenden Schwarzmarkt aber nicht unterdrücken kann und der lokale Dealer stets Stoff anzubieten hat? Oder wenn Cannabis legal bei lizenzierten Händlern verfügbar ist, die in einem staatlich regulierten Markt operieren, etwa bei einem Apotheker? Dieser weiss genau: Verkauft er an Minderjährige, gefährdet er sein ganzes Geschäft. Er schmeisst den Teenager also aus seinem Laden. Den Kleinkriminellen aus dem ersten Beispiel hingegen werden Jugendschutz-Überlegungen kaum kümmern. Und beim zweiten oder beim dritten Mal könnte er dem Kunden in einer dunklen Seitenstrasse ja gleich noch etwas Härteres wie Crystal Meth anbieten – so viel zum Thema Einstiegsdroge.

Wie das Beispiel Alkohol zeigt, verhindert auch der regulierte Markt nicht vollständig, dass sich Jugendliche Spirituosen beschaffen – etwa, indem sie einen 18-jährigen Kumpel in den Laden schicken. Doch der Zugang ist zumindest erschwert. Eine Besteuerung von Cannabisprodukten analog zu Tabak oder Alkohol würde auch die Mittel bereitstellen, um die Heranwachsenden in der Schule oder in Sportvereinen noch besser über die physischen und psychischen Schäden zu informieren, die ihnen infolge des Cannabiskonsums drohen.

Die Entkriminalisierung hätte aber auch für die Erwachsenenwelt Vorteile. Die Zehntausende von Cannabiskonsumenten, die es ohnehin gibt, hätten die Gewissheit, dass ihr Gras oder ihr Haschisch gewissen Qualitätsstandards entspricht. Die Legalisierung würde zudem dem Schwarzmarkt die Existenzgrundlage entziehen, dadurch gäbe es voraussichtlich weniger Kriminalität – und die Polizei könnte sich auf die Aufklärung schwerer Delikte konzentrieren, statt kleinen Kiffern hinterherjagen zu müssen.

Mit dem seit 2013 herrschenden Ordnungsbussen-System hat die Politik versucht, ein milderes Klima für Haschkonsumenten zu schaffen. Man mag das als Fortschritt werten, aber letztlich handelt es sich um einen Murks. Zumal bei der Umsetzung Willkür herrscht: So verteilt die Zürcher Stadtpolizei schon Bussen von 100 Franken, wenn sie jemanden mit ein wenig Gras in der Tasche erwischt. Dies, obwohl im Gesetz steht, dass geringe Mengen – also weniger als 10 Gramm – in «Vorbereitung» auf den Eigenkonsum straffrei seien. Entsprechend hat das Bezirksgericht Zürich das Vorgehen der Stapo für gesetzeswidrig erklärt, diese hält jedoch vorerst daran fest. Andere Polizeikorps sind kulanter und büssen erst, wenn sie auf einen glühenden Joint als Corpus Delicti treffen.

Noch komplizierter wird die Sache durch den gegenwärtigen Boom von CBD-Hanf. Dieser enthält praktisch kein berauschendes THC und ist deshalb legal. Doch für einen Polizisten ist von blossem Auge nicht zu erkennen, um welche Art Cannabis es sich handelt. Die Folge: Der Stoff landet oft im Labor, der Test kostet mehrere hundert Franken. Auch diesen Leerlauf könnte man sich mit einer Legalisierung ersparen.

Vom Ausland lernen

Dass ein Unbehagen an der heutigen Politik herrscht, zeigt sich insbesondere daran, dass einzelne Städte vorpreschen und sich am Aufbau von Cannabis-Klubs versuchen. Doch richtig vom Fleck gekommen sind solche Projekte bisher nicht. Länder wie Uruguay und Neuseeland sowie mehrere US-Gliedstaaten hingegen haben die ganze Cannabis-Produktionskette geregelt und damit bisher überwiegend positive Erfahrungen gemacht.

So betonen die Behörden von Colorado, es habe weder einen Anstieg des Konsums bei Teenagern gegeben noch negative Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit. Auf solcher Vorarbeit kann die Schweiz jetzt aufbauen – immer im Bewusstsein um die Fallstricke, die bei den Legalisierungs-Vorreitern offenkundig wurden. So würde beispielsweise eine zu hohe Besteuerung den Schwarzmarkt am Leben erhalten, weil Cannabisprodukte dort deutlich günstiger erhältlich wären.

Dass eine grosse Mehrheit des Stimmvolks vor bald zehn Jahren nichts von einer Legalisierung wissen wollte, darf kein Grund sein für eine Arbeitsverweigerung unserer Politiker. Gerade in gesellschaftspolitischen Fragen kann die Stimmung relativ rasch umschlagen, das zeigt die Ehe für alle inklusive Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Dieses liberale Anliegen wäre vor nicht allzu langer Zeit noch chancenlos gewesen, nun werkelt das Parlament an einer entsprechenden Vorlage. Eine repräsentative Umfrage von Sucht Schweiz hat kürzlich ergeben, dass zwei Drittel der Bevölkerung einer Cannabis-Legalisierung zustimmen würden, wenn der Konsum für Minderjährige und Autofahrer verboten bliebe. Solche Zahlen sollten den Verfechtern einer fortschrittlichen Drogenpolitik den nötigen Mumm geben. An die Arbeit!

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