Der Berliner Senat will einen Antrag für ein Modellprojekt stellen, um Cannabis an eine begrenzte Zahl von Erwachsenen abzugeben.

Die rot-rot-grüne Koalition will ein Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis auf den Weg bringen. Ein entsprechender Antrag solle im September an das zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gehen, sagte am Donnerstag Catherina Pieroth, Sprecherin für Gesundheits- und Drogenpolitik der Grünen-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Das Projekt solle zwei Jahre laufen und wissenschaftlich begleitet werden. Damit werde eine Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt, heißt es weiter.

Geplant ist, dass eine noch nicht näher benannte Zahl von Teilnehmern legal Cannabisprodukte erwerben kann. Sie müssen sich im Vorfeld melden, Angaben über ihren Konsum und ihr Konsumverhalten machen. „Das ist keine Prävention, das ist eine Enttabuisierung“, sagte Pieroth. Zwei bis drei Abgabestellen solle es geben. Vorgesehen sei eine niedrige vierstellige Teilnehmerzahl, ergänzte der drogenpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Niklas Schrader. Genauere Zahlen wollten beide Politiker erst nach den Haushaltsverhandlungen im Herbst bekannt geben.

Legaler Verkauf soll Jugendschutz verbessern

Es brauche einen anderen Umgang der Gesellschaft mit Drogen, forderte Grünen-Politikerin Pieroth. „Ich hätte es lieber, wenn mein 20-jähriger Sohn in einer Apotheke oder Fachstelle kontrolliert sein Cannabis erwirbt als im Görlitzer Park.“ Mit der kontrollierten Abgabe würde sich auch der Jugendschutz verbessern, ergänzte Schrader. Diesen gebe es in der jetzigen Situation überhaupt nicht. „Wir wollen mit solch einem Modellprojekt erreichen, dass man dem Schwarzmarkt und der allgemeinen Verfügbarkeit von verschiedensten Substanzen ein Stück weit den Boden entzieht.“ Es gehe auch um Transparenz. Bei kontrolliert abgegebenem Cannabis seien die Inhaltsstoffe nachvollziehbar.

Kritik kommt hingegen von der Opposition. Marcel Luthe, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus, warnte: „Wir brauchen in Berlin keine Kreuzberger Verhältnisse wie im Görlitzer Park.“ Der Fraktionschef der CDU, Burkard Dregger, forderte mehr Engagement gegen Drogenkriminalität. „Man erkennt, dass die Kriminalisierung keinen präventiven Effekt hat“, hält Linken-Politiker Niklas Schrader dagegen. Trotz Strafbarkeit sei der Konsum nach wie vor hoch. Entkriminalisierung sei ferner nicht mit Verharmlosung und freier Abgabe an alle gleichzusetzen. „Da ist die Diskussion in der Fachwelt viel weiter als die in der Politik.“

Friedrichshain-Kreuzberg scheitert mit ähnlichem Plan

Wie viel Geld der rot-rot-grüne Senat für das Projekt einplant, könne erst nach den Haushaltsverhandlungen gesagt werden, so die beiden Politiker. Insgesamt seien für die Drogenprävention jeweils 3,6 Millionen Euro pro Jahr im Doppelhaushalt 2020/21 vorgesehen.

Damit greifen Grüne und Linke einen Plan des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg auf. Dieser hatte 2015 versucht, ein ähnliches Modellprojekt für den kontrollierten Verkauf von Cannabis durchzusetzen. Das BfArM lehnte den Antrag jedoch ab und beurteilte den Verkauf zu Genusszwecken als unvereinbar mit dem Betäubungsmittelgesetz. Das Betäubungsmittelgesetz verbietet den Besitz und Verkauf von Drogen wie Cannabis. Allerdings werden Menschen, die mit kleineren Mengen für den eigenen Bedarf erwischt werden, in der Regel nicht bestraft. Das Projekt solle bundesweiten Modellcharakter haben, sagt Pieroth. Man befinde sich in engem Austausch mit Hamburg und Bremen.

Jeder dritte Berlienr Jugendliche hat schon Cannabis probiert

Tatsächlich hat bereits jeder dritte Berliner Jugendliche schon einmal an einem Joint gezogen. Das geht aus einer Studie der Fachstelle für Suchtprävention im Land Berlin hervor, deren Ergebnisse am Donnerstag vorgestellt wurden. Dazu hat das von der Senatsgesundheitsverwaltung geförderte Projekt insgesamt 1725 Schüler zwischen zwölf und 20 Jahren zu ihrem Cannabiskonsum befragt. Mit 34,5 Prozent gab mehr als ein Drittel an, bereits Marihuana probiert zu haben. Davon weisen mit 49 Prozent fast die Hälfte Merkmale einer Suchtgefährdung auf. Und 27 Prozent aller konsumierenden Jugendlichen kiffen mehrmals wöchentlich.

Damit liegt die Hauptstadt deutlich über dem Bundesschnitt. Nach jüngst veröffentlichten Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) haben lediglich zwölf Prozent aller deutschen Jugendlichen bereits Cannabis probiert. Die Zahlen sind allerdings nur bedingt vergleichbar, weil die BZgA nur Schüler bis 17 Jahren befragt hat.

Durchschnittliches Alter für "das erste Mal": 14,6 Jahre

Besorgniserregend sei aber insbesondere, dass die Berliner Jugendlichen sehr früh mit dem Kiffen anfangen, sagt Kerstin Jüngling, Geschäftsführerin der Fachstelle. Das durchschnittliche Alter bei Erstkonsum liegt mit 14,6 Jahren in der Hauptstadt deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Den beziffert die BZgA auf 16,4 Jahre. Damit greifen Berliner Kinder fast zwei Jahre früher zum ersten Joint. „Und je früher ein Mensch egal mit welchen Substanzen anfängt, umso größer ist statistisch das Risiko, als Erwachsener suchtkrank zu werden“, sagt Jüngling.

Motiv für den Konsum bei Jugendlichen sind nach Erfahrung der Fachstelle etwa Neugier, Spaß und ein Gemeinschaftsgefühl in der Clique. Die mit dem Kiffen verbundenen Risiken seien „nicht bewusst“. Regelmäßiger Konsum kann abhängig machen und zu gesundheitlichen Schäden führen. Besonders für das Gehirn von Jugendlichen kann Cannabis gefährlich sein. Die Folgen hängen unter anderem vom Einstiegsalter, der Häufigkeit des Konsums und der Dosis ab.

Fachstelle unterstützt Pläne für legales Kiffen

Die Zahlen verdeutlichten, dass der Konsum unter Jugendlichen in der Hauptstadt „besorgniserregend normal“ zu sein scheine, so Jüngling weiter. Ziel müsse es sein, das Einstiegsalter hinauszuzögern, betont sie. Dabei begrüßt sie auch die Pläne der rot-rot-grünen Koalition, Marihuana testweise legal abzugeben. Die Fachstelle wolle dabei sogar unterstützen. Denn es handele sich um eine Abgabe nur für Erwachsene. „Es wird viel konsumiert, das Verbot hält wenige Menschen davon ab.“ Daher sei eine staatliche Regulierung unter Einbindung auch von Suchtprävention klüger.

In ihrem Koalitionsvertrag hatte sich Rot-Rot-Grün auf dieses Modellprojekt verständigt. Anders als Grüne und Linke hatte die SPD eine Freigabe von Cannabis ursprünglich mehrheitlich skeptisch gesehen. Nach einer lebhaften innerparteilichen Debatte stimmten die Delegierten auf dem Parteitag im Herbst vergangenen Jahres aber für ein Modellprojekt zur zeitlich befristeten Freigabe. Aktuell gebe es für einen Antrag für ein Modellprojekt, allerdings keinen Beschluss in der Fraktion, hieß es am Donnerstag aus der SPD. Möglicherweise seien noch Detailfragen zu klären. Grundsätzlich stehe dem Vorhaben aber nichts entgegen.

CDU lehnt Pläne ab, FDP fordert mehr Jugendschutz

Burkard Dregger spricht von einer „Absurdität“. Mit der CDU sei das Vorhaben nicht umzusetzen. „Die rot-rot-grüne Koalition sollte ihre Energie darin investieren, endlich die organisierte Drogenkriminalität zu bekämpfen. Damit wäre mehr für die Gesundheit der Berliner getan als mit solchen Projekten, die nur dafür sorgen, dass möglichst viele Leute bekifft durch die Gegend laufen.“

„In einem föderalen Bundesstaat kann eine solche Lösung nur gemeinsam auf Bundesebene und nicht im Alleingang gefunden werden“, sagt Marcel Luthe von der FDP. Eine Legalisierung dürfe nur erfolgen, wenn gleichzeitig klare gesetzliche Regelungen zum Schutz der Nichtkonsumenten, von Kindern und Jugendlichen und generell der Gesundheit geschaffen werden. „Alles andere ist keine Prävention, sondern Förderung des Konsums."

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