Cannabis ist gemäss Suchtmonitoring Schweiz die klar meistkonsumierte illegale Substanz im Land. (Bild: Imago)

Cannabis ist gemäss Suchtmonitoring Schweiz die klar meistkonsumierte illegale Substanz im Land. (Bild: Imago)

Cannabis könnte dem Staat über 300 Millionen pro Jahr bringen

Eine Legalisierung des Cannabiskonsums in der Schweiz würde ohne Begleitmassnahmen die Preise drücken und den Konsum steigern. Hohe Steuern könnten die Preise stützen und Einnahmen von illegalen Händlern zum Fiskus verschieben.

Hansueli Schöchli
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Der Cannabiskonsum spaltet die Schweizer Politik. Im Prinzip sind Herstellung, Konsum und Verkauf von Cannabis zu Genusszwecken und mit THC-Gehalt ab 1% verboten; THC ist eine chemische Substanz mit potenziell berauschender Wirkung. Die Sozialkommission des Nationalrats hat vergangene Woche den Vorschlag des Bundesrats zu einer vorsichtigen Öffnung knapp abgelehnt. Der Bundesrat will wissenschaftliche Pilotversuche für den legalen Cannabiskonsum zu Genusszwecken unter Bedingungen zulassen.

Im neuen Nationalrat, der diesen Dezember erstmals tagt, dürften die Regierungsvorlage und auch weitergehende Reformen durchaus Chancen haben. Im Smartvote-Fragebogen im Vorfeld der Parlamentswahlen hatten sich 86 von 189 Nationalratskandidaten, welche Antwort gaben und danach gewählt wurden, klar für eine Legalisierung des Cannabiskonsums ausgesprochen, weitere 28 sagten «eher Ja». Eine Garantie für eine künftige Mehrheit ist dies allerdings nicht.

Für den Fiskus könnte eine Cannabislegalisierung ein gutes Geschäft sein. Wirtschaftsprofessor Peter Moser und Marco Bandli von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Chur schätzten vergangene Woche auf dem Blog «Ökonomenstimme», dass der Staat in einem legalisierten Cannabismarkt in der Schweiz mit jährlichen Einnahmen von etwa 335 Mio. Fr. rechnen könnte. Basis der Schätzung ist Bandlis Bachelor-Arbeit, die aufgrund verschiedener Quellen den jährlichen Cannabiskonsum in unserem Land auf knapp 60 Tonnen und den Marktpreis auf etwa 11 Fr. pro Gramm schätzt, was einen Jahresumsatz von etwa 640 Mio. Fr. pro Jahr ergebe.

Nicht zu hoch und nicht zu tief

Eine Legalisierung würde ohne Begleitmassnahmen die Preise deutlich drücken und damit den Konsum steigern. Dies liesse sich mittels Besteuerung auffangen. Ist die Steuer «zu tief», wären Mehrkonsum und Folgeschäden zu erwarten – und ist die Steuer «zu hoch», bleiben hohe Anreize für einen Schwarzmarkt. Bandli schätzt, dass nach einer Legalisierung eine Besteuerung von etwas über 5 Fr. pro Gramm möglich wäre, womit der Gesamtpreis mit Fr. 11.50 nur leicht über dem bisherigen Marktpreis läge. Die Besteuerung würde damit 80 bis 90% des geschätzten Preises vor Steuern ausmachen.

Cannabis ist gemäss Suchtmonitoring Schweiz die klar meistkonsumierte illegale Substanz im Land. Mehr als ein Drittel der Personen ab 15 Jahren haben schon einschlägige Erfahrungen. Gut 3% deklarierten in der jüngsten Befragung einen Cannabiskonsum innerhalb der vergangenen 30 Tage, bei den 20- bis 24-jährigen Männern waren es rund 10%.

Zu den Folgen des Cannabiskonsums für die Gesundheit gibt es eine breite internationale Forschungsliteratur. Kanadische Forscher präsentierten 2018 einen Gesamtüberblick zum Wissensstand auf Basis einer Analyse von 68 Überblicksartikeln zu verschiedenen Aspekten der Forschung. Demnach haben 62 der 68 Untersuchungen Gesundheitsrisiken geortet. So bringe der Cannabiskonsum zum Beispiel höhere Risiken von Sehproblemen, Depression, motorischen Schwierigkeiten, Einbussen des Denkvermögens, Gedächtnisverlust, Lernschwierigkeiten, Lungenentzündung, Angstzuständen, Schizophrenie, Hodenkrebs und Abhängigkeit. Die Liste ist noch länger.

Der Synthesebericht «Cannabis» der Eidgenössischen Kommission für Suchtfragen hatte sich dieses Frühjahr ähnlich wie frühere Berichte des Vorgängergremiums (1999 und 2008) für Reformen in Richtung Regulierung mit Fokus Jugendschutz anstelle des Verbots ausgesprochen. Die Kommission äusserte sich wohlwollend über ein Modell, das 2018 eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Suchtprävention und der Hanfbranche vorgeschlagen hatte. Das Modell sieht unter anderem Konsumenteninformation, Werbeverbote, Jugendschutz, Verkauf in Spezialgeschäften und eine Besteuerung vor.

Mehrkonsum nach Öffnung?

Doch wie wirkt sich eine Legalisierung auf den Konsum aus? Das Signal der Legalität, die offene Verfügbarkeit und die potenziell tieferen Preise würden eine Konsumzunahme erwarten lassen. Dämpfend wirken der Wegfall der «Attraktivität des Verbotenen» und die Möglichkeit, Preissenkungen mittels hoher Steuern zu verhindern. Hinzu kommt die Hoffnung auf eine höhere und weniger gesundheitsschädigende Produktequalität in einem legalen und regulierten Markt. Letztlich ist die Frage nur durch die Praxis zu beantworten – was ein zentrales Argument für die Zulassung von Pilotprojekten sein mag.

Gewisse Erfahrungen mit der Legalisierung oder Teillegalisierung von Cannabis gibt es im Ausland – namentlich in Kanada, diversen US-Gliedstaaten, Australien, den Niederlanden und in Uruguay. Kanadische Experten orteten dieses Jahr in einer Analyse von drei Dutzend Studien ein «sehr heterogenes» Bild bezüglich der Gesamtwirkung; doch jene Studien, welche die Mengenentwicklung untersuchten, diagnostizierten mehrheitlich Zusatzkonsum nach einer Legalisierung.

Auch französische und amerikanische Forscher haben dieses Jahr einen Überblick über den Stand der Erkenntnisse publiziert, mit Fokus auf Jugendliche und junge Erwachsene. Auch diese Analyse zeigt ein uneinheitliches Bild – mit der Tendenz einer «leichten» Zunahme des Konsums nach der Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken. Viel dürfte aber von der Art der Regulierung und der Höhe der Steuern abhängen.

Zweite Volksinitiative

In der Schweiz stehen Vorschläge zur Cannabislegalisierung seit vielen Jahren auf der politischen Agenda. 2008 scheiterte eine Volksinitiative an der Urne klar mit 63% Nein-Stimmen. Eine weitere Volksinitiative mit gleichem Thema ist seit längerem angekündigt. Der Trägerverein mit Suchtfachleuten, Hanfhändlern und Politikern hat sich aber noch nicht auf einen konkreten Vorschlag geeinigt. Der Verein will nun dem Vernehmen nach zuerst schauen, ob das neue Parlament selber eine Vorlage zur Legalisierung zustande bringt.

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